Nicht nur Öl und Kohle sind endlich

      Nicht nur Öl und Kohle sind endlich

      Am Phosphor hängt das Schicksal der Menschheit
      Ohne Phosphor kann der Mensch nicht leben: Doch schon bald droht der lebenswichtige Rohstoff knapp zu werden – und er lässt sich durch nichts ersetzen. Von Heinz Greuling

      Der Schock im Jahre 1973 saß tief. Mit einem Schlag, an wenigen autofreien Sonntagen wurde jedem klar, wie abhängig die moderne, hoch mobile Gesellschaft von einem Rohstoff war und bis heute ist – von Erdöl. Die Erkenntnis kam damals ohne Vorwarnung. Inzwischen sind fast vier Jahrzehnte vergangen, und keiner bestreitet ernsthaft, wie begrenzt und darum kostbar das Vorkommen dieses knappen Energieträgers ist – und dass Erdöl als fossiler Kraftstoff langfristig ersetzt werden muss und glücklicherweise auch ersetzt werden kann.

      Doch am Horizont zeichnet sich eine möglicherweise viel dramatischere Krise ab. Eine, die den Erdölschock mit seinen Folgen in den Schatten stellen wird. Noch in dieser Generation droht ein ganz anderer, unbekannter, aber buchstäblich lebenswichtiger Rohstoff knapp zu werden: Phosphor. Es wird alle, Arme wie Reiche, gleichermaßen treffen. Denn für dieses chemische Element gibt es keinen Ersatz wie beim knappen Erdöl.

      Phosphor ist eine wichtige Grundlage allen irdischen Lebens. Ohne Phosphor funktioniert kein einziger biologischer Organismus, keine Zelle, keine Pflanze, kein Tier. Ohne Phosphor droht einer schnell wachsenden Welt von heute mit schon mehr als sechs Milliarden Menschen eine dramatische Nahrungsmittelkrise. Denn Phosphor ist ein Hauptbestandteil der Düngemittel.

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      Diesmal gibt es jedoch eine ernste Vorwarnung, ein Weißbuch. 30 weltweit führende Chemiker und internationale Experten für Materialwissenschaften haben es unter dem Titel "A Sustainable Global Society" verfasst – zu Deutsch: "Chemie für eine nachhaltige globale Gesellschaft".

      Sie haben sich in London getroffen und vier Tage lang unter dem Dach der ehrwürdigen Royal Society of Chemistry mit Sitz in Cambridge diskutiert. Getragen wurde die inzwischen zweite chemische Gipfelkonferenz CS3, abgekürzt für "Chemical Sciences and Society Summit", neben der britischen auch von der Chinese Chemical Society, der Gesellschaft Deutscher Chemiker, der Chemical Society of Japan und der American Chemical Society.

      Für den Leiter der deutschen Kommission, Professor Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm, ist klar, was auf dem Spiel steht: "Dieses Weißbuch ist in der Tat ein globales Dokument, das sich mit globalen Fragen auseinandersetzt", denn es geht hier "um Probleme, bei denen Bemühungen einzelner Länder im Alleingang sinnlos sind".

      Unter den Autoren sind Berühmtheiten wie etwa Ryoji Noyori, der japanische Chemienobelpreisträger aus dem Jahre 2001. Es sei ihre Aufgabe als Chemiker, schreibt er im Vorwort, "die Gesellschaft zu beraten und ihr zu zeigen, welche Lösungen sie mithilfe der Chemie erreichen kann".

      Sie sind, weiß Gott, keine Apokalyptiker und Untergangspropheten. Sie wissen, wie beliebt in den Medien Krisen sind und wie kurzlebig Horrorszenarien. Vor allem wenn sie von wissenschaftlichem Fortschritt und Entdeckungen eingeholt werden, Ideen, die niemand vorhersagen konnte. So geschehen schon einmal, 1798. Damals prophezeite der Brite Thomas Robert Malthus eine Nahrungskatastrophe.

      Der Ökonom argumentierte ganz ähnlich. Die Weltbevölkerung explodiere in ihrer Zahl, und die Landwirtschaft könne mit ihren Methoden nicht mithalten, genügend Nahrungsmittel für alle zu produzieren. Hunger, Unterernährung und Krankheiten würden diesem ungehinderten Wachstum auf direkte und brutale Weise Einhalt gebieten. Dass diese düstere Prognose so nicht eintrat, dafür sind Chemiker verantwortlich.

      Wieder einmal, im Jahre 1906, also rund 100 Jahre später, konnten die Deutschen Fritz Haber und Robert Bosch mit ihrem revolutionären Verfahren aus der Luft Ammoniak gewinnen – und damit Stickstoff. Stickstoff, der dringend benötigt wurde, nachdem Justus von Liebig um 1840 zeigen konnte, wie man die Erträge der Landwirtschaft mit Stickstoffdünger drastisch verbessern würde.

      Stickstoff als Element kommt im Erdmantel gebunden selten vor, sogar drei Mal seltener als Phosphor. Doch gasförmig macht es 78 Prozent der Luft aus. Nun traten Kunstdünger und moderne Agrarwirtschaft ihren Siegeszug an. Auch mit all seinen negativen Folgen. Neben Stickstoff wichtigster Rohstoff für Dünger sind die Phosphate, also eine chemische Verbindung mit Phosphor. Das Phosphoratom ist dabei eingeschlossen in einen sicheren Kordon von Sauerstoffatomen. Und für diesen Phosphor gibt es wie im Falle des Stickstoffs leider keine andere Ersatzquelle.

      Die Entdeckung von Phosphor markiert die Geburtsstunde der modernen Chemie, als sie ihre alchemistische Herkunft abschüttelte. Denn Phosphor ist das erste echte chemische Element, das neben den damals allein bekannten sogenannten vier Elementen – Erde, Wasser, Luft und Feuer – entdeckt wurde. Durch Zufall und alchemistische Hartnäckigkeit.

      Es muss gestunken haben bis zum Himmel, im Jahre 1669 aus dem Kellergewölbe eines vornehmen Hauses in Hamburg. Hennig Brand war ganz fixiert von der Idee, aus "Niedrigem" "Wertvolles" zu gewinnen. Er wollte aus einem goldgelben Saft, von dem er einige Hundert Liter in Fässern gelagert hatte, Gold extrahieren – aus Urin. Diese Flüssigkeit kochte er tagelang heftig ein, so lange, bis sich ein aggressiv reagierendes Etwas absetzte. Ein paar Gramm. Und siehe da: Dieser weiße Stoff entzündete sich von selbst unter Luft. In einem großen runden Glaskolben auf etwas Sand gesetzt, mit einem heißen Glasstab berührt, entbrannte es in einem hellen, kalten Licht.

      Man muss es selbst sehen, wenn man es als Experiment wiederholt, wie wunderbar es im Dunkeln leuchtet. Brand nannte es "Phosphor mirabilis", den wunderbaren Lichtträger. Er hatte damit, ohne es zu wissen, eines der lebenswichtigen Elemente entdeckt.

      Phosphor ist biologisch extrem wichtig. Unsere Knochen bestehen überwiegend aus Kalzium-hydroxyl-apatit, also viel Phosphor. Es ist in unserer Erbsubstanz, der DNS, als Zucker-Phosphat-Ketten, es ist in unserem Gewebe, in jeder Zelle. Es ist in unserem Blut und wird im Überschuss mit dem Urin ausgeschieden. Ein Mensch besteht aus etwa 700 Gramm Phosphor. Wer nicht am Tag 0,7 Gramm Phosphor mit der Nahrung aufnimmt, der wird an Mangelerscheinungen erkranken.

      Milliarden Phosphatmoleküle steuern einen sorgfältig austarierten, lebenswichtigen Kreislauf. Sie sind der Treibstoff des Lebens: Adenosin-tri-phosphat, kurz ATP. Seine Energie bekommt es aus dem Verbrennen von Zucker. Es überträgt sie auf Abermilliarden winziger Motoren, die in jeder Zelle für den Stoffwechsel verantwortlich sind, nötig für Transporte und wichtig für Signalübertragungen. Es gibt die Energie ab, verbrennt zu ADP, Adenosin-di-phosphat, wird wieder aufgeladen zu ATP, und von Neuem beginnt die Verbrennungskette.

      Wie wichtig Phosphor für Nutzpflanzen ist und wie gezielt es eingesetzt werden kann, das verdankt sich auch reinem Zufall. Der Metallforscher Sidney Thomas hatte sich um 1877 ein Verfahren patentieren lassen, wie man Stahl herstellen könne. Vielleicht noch wichtiger war seine Beobachtung, dass die Rückstände, die Schlacke, ein hervorragender Wachstumsverstärker für die Pflanzen wäre. Es heißt ihm zu Ehren Thomasmehl.

      Seitdem ist Phosphor als Dünger nicht mehr wegzudenken. Gewonnen wird er aus Mineralien wie Apatit. Etwa 160 Millionen Tonnen Phosphat werden im Moment auf der Welt pro Jahr abgebaut. Die Vorräte würden theoretisch etwa 100 Jahre reichen, wenn man beim heutigen Verbrauch bliebe. Doch Phosphatdünger dürfte schon schneller, in rund 20 Jahren, knapp werden. Grund dafür ist, dass der geförderte Phosphor zunehmend an Qualität verliert, es also aufwendiger und damit teurer wird, ihn von Verunreinigungen zu befreien.

      Mit der wachsenden Weltbevölkerung und dem steigenden Nahrungsbedarf wird zudem die Nachfrage nach Phosphor steigen. Heute werden etwa 80 Prozent des geförderten Phosphors zu Düngemitteln verarbeitet, doch es entstehen neue Konkurrenzen, dort, wo man Phosphor anders nutzen und einsetzen kann. Wie beispielsweise zur Herstellung von Batterien für Elektroautos.

      Bis vor wenigen Jahren war die Nachfrage nach Phosphor immer geringer als das Angebot. Im Januar 2007 drehte sich dann zum ersten Mal diese Situation um. Als Folge stiegen die Preise bis Ende des Jahres 2008 auf das Sechsfache. Sie fielen zwar wieder leicht nach einem Ausbau der Minen, sind aber inzwischen sogar doppelt so hoch wie Ende 2008. Derzeit kostet eine Tonne phosphathaltiger Mineraldünger rund 250 Euro.

      Die Dramatik wird noch dadurch verschärft, so die Chemiker in ihrem Weißbuch, dass die weltweiten Phosphatreserven sehr ungleich verteilt sind. Vier Länder besitzen rund 80 Prozent aller Vorkommen. Es sind Marokko und die Westsahara, China und, etwa gleich, Südafrika und Jordanien. Und derzeit teilen sich fünf Länder, China, USA, Marokko, Russland und Tunesien, rund drei Viertel der Förderung von Phosphatgestein.

      Europa ist zu 90 Prozent abhängig von Importen aus diesen Ländern. In Australien, der Nummer sieben bei der Produktion von Weizen auf der Welt, ist der Mangel an Phosphor im Boden bereits eklatant. Auch in allen afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist das Gedeihen der Nutzpflanzen stark durch den Phosphormangel gefährdet. "Für viele Länder berührt es die nationale Sicherheit", hält das Weißbuch fest, "wenn eine kleine Gruppe von Ländern die Restbestände zahlreicher wertvoller, lebenswichtiger Ressourcen kontrolliert."


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      Gruß Ulix
      Der Wert von Geld ist eine auf Konsens beruhende Halluzination
      Es scheint nur eine sinnvolle Strategie zu geben, um dem drohenden Phosphatmangel zu begegnen. Gerade dort, wo keine natürlichen Phosphatgesteine vorhanden sind, werden Recycling und Einsparen immer wichtiger. Der lebenswichtige Rohstoff fällt ja in hohen Mengen im Abwasser an. Denn Tier und Mensch scheiden Phosphor aus. Mit neuen, modernen Methoden kann man bis zu 90 Prozent des Phosphors aus dem Abwasser und Klärschlamm zurückgewinnen. Gerade in Ländern mit intensiver Landwirtschaft und Tierhaltung wird ein regelrechter Phosphatüberschuss produziert – in Form von Gülle.

      Größere Pilotanlagen stehen schon in Österreich, in Leoben. Und im württembergischen Knittlingen. Dort haben Wissenschaftler um den Projektleiter Walter Trösch vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart ein ganzheitliches Abwassersystem für eine kleine Siedlung erstellt. Dieses Forschungsprojekt hat den Praxistest bestanden, ist für den Routinebetrieb aber noch zu klein.

      Das Recycling von Phosphor funktioniert jedenfalls gut. Mithilfe eines elektrochemischen Prozesses wird in der Anlage Phosphat ausgefällt – als Struvit, einem Phosphordünger. Methoden zur Wiedergewinnung von Phosphat haben gute Marktchancen, und sie werden hoffentlich verhindern, dass die düstere Vision des Robert Malthus doch noch wahr wird.

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      Hat nicht alles in einen Post gepasst

      Gruß Ulix
      Der Wert von Geld ist eine auf Konsens beruhende Halluzination